Märchen

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Tischlein deck dich

 

Ludwig Bechstein

In einem kleinen Städtchen lebte ein ehrlicher Schneider mit seiner Familie, die fünf Häupter zählte: Vater, Mutter, und drei Söhne. Letztere wurden sowohl von den Eltern, als auch von sämtlichen Einwohnern des Städtchens nicht nach ihren Taufnamen genannt, sondern schlichtweg nur: der Lange, der Dicke, der Dumme. So folgten sie dem Alter nach aufeinander. Der Lange wurde ein Schreiner, der Dicke ein Müller, der Dumme ein Drechsler.

Als nun der Lange aus der Lehre kam, wurde sein Bündlein geschnürt, und er in die Fremde geschickt, und er zog wohlgemut und mit langen Schritten aus dem heimatlichen Städtchen hinaus. Lange Zeit wanderte der Bursche von Ort zu Ort und konnte keine Arbeit bekommen. Da nun sein ohnehin knappes Reisegeld sehr zu Ende ging, so wurde er traurig. Sein Weg führte ihn durch einen stillen, schönen Wald. Als der Bursche so eine Strecke hineingegangen war, begegnete ihm ein kleiner, etwas wohlbeleibter Mann, der ihn gar freundlich grüßte und fragte: „Na, Bürschlein, wo hinaus denn? Siehst ja gar traurig aus, was fehlt Dir denn?“ – „Mir fehlt Arbeit“ sprach der Bursche treuherzig. „Das ist meine ganze Trauer – bin schon lange gewandert und hab‘ kein Geld mehr.“ – „Was kannst Du denn für ein Handwerk?“ forschte das Männlein weiter. – „Ich bin ein Schreiner.“ – „O so komm doch mit mir,“ rief der Kleine fröhlich aus, „ich will Dir Arbeit geben! Ja ja, komm nur mit.“ Und kaum hundert Schritte weiter lag ein schönes Haus, und rings herum war ein dichter frischgrüner Tannenzaun, anzusehen wie eine Schutzmauer, und vorne am Eingang standen zwei hohe Tannen, gleichwie riesige Schildwachen. Da hinein führte das Männlein den Schreinergesellen, der nun alsbald seine Traurigkeit fahren ließ.

„Willkommen“ rief da aus der Ecke hintern Ofen ein ältliches Mütterlein, und trippelte auf den Burschen zu. Der Meister plauderte den Abend noch gar lange mit dem Burschen, das Mütterlein trug Speisen und Krüglein auf.
Dem jungen Schreiner gefiel es ganz wohl bei seinem Meister; er arbeitete sehr fleißig und hielt sich auch sonst brav und ordentlich, so dass keine Klage über ihn geführt wurde.

Nach etlichen Monaten aber sprach das alte Männlein: „Lieber Gesell, ich kann Dich nun nicht länger brauchen, sondern muss Dir Feierabend geben. Und mit Geld kann ich Dir Deine Arbeiten, die Du mir getan, auch nicht belohnen; aber ich will Dir ein schönes Andenken geben, das Dir mehr helfen wird als Gold und Silber.“ Dabei reichte er ihm ein allerliebstes kleines Tischchen, und sprach weiter: „So oft Du dieses Tischlein vor dich hinstellen wirst, und wirst dreimal sprechen: Tischlein decke dich, so oft wird es Dir diejenigen Speisen und Getränke zum Mahle darbieten, die Du nur wünschen magst. Und nun lebe wohl, und gedenke fein Deines alten Meisters.“

Der Geselle nahm betrübt und froh zugleich das wundertätige Tischlein aus den Händen des Gebers, und zog, noch vielmals dankend, ab und lenkte seine Schritte der lieben Heimat zu. Unterwegs bot ihm das Tischlein, so oft der Bursche die Zauberformel nur sprach, seine reichen Genüsse, da standen im Nu die feinsten Gerichte, die edelsten Weine darauf, und alle Gefäße waren von Silber, und darunter glänzte das feinste schneeweiße Tischgedeck. Natürlich hielt der Geselle sein Tischlein decke dich sehr hehr; auf seiner letzten Herberge, ehe er heimkam, gab er es noch seinem Wirt aufzuheben. Da er aber vorher nichts im Wirtshaus verzehrt, sondern sich mit dem Tischchen eingeschlossen hatte, so hatte der Wirt ihn belauscht durch eine Klinze in der Brettertür, und hatte des Tischleins Geheimnis entdeckt. Daher war er sehr froh, als er das Tischlein in seine Verwahrung bekam, machte gleich eine Probe und freute sich mächtig über die herrliche Eigenschaft desselben. Er sann nach, wie er sich auf die beste Weise das Tischchen aneignen möchte. Da fiel ihm ein, dass er ein ganz ähnliches Tischchen, obschon kein Tischchen decke dich besitze. Der schlaue Wirt versteckte daher das echte Tischlein, und stellte das andere unechte am andern Morgen dem Gesellen zu, der sich ohne Bedenken damit belud, und nun fröhlich seiner Heimat zueilte. Mit Freude begrüßte der lange Schreiner daheim die Seinen, und entdeckte sogleich seinem Vater die köstliche Bewandtnis, die es mit dem Tischchen habe. Der Vater zweifelte stark, der Sohn aber stellte es vor sich hin, sprach dreimal: „Tischlein, decke dich“ – aber es deckte sich nicht, und der ehrliche Schneidermeister sprach zu seinem Sohne: „Du dummer Hans, bist Du darum in der Fremde gewesen, Deinen alten Vater zu huzen? Geh, lass Dich nicht auslachen!“ Der lange Schreiner wusste in der Welt keinen Rat. Er probierte noch allerlei; aber es deckte sich nicht wieder, und der Lange musste wieder zum Hobel greifen, und arbeiten, dass die Schwarte knackte.

Unterdessen war der dicke Müller auch aus der Lehre gekommen, und wanderte fort in die Fremde. Und es fügte sich, dass dieser ebenfalls denselben Weg nahm, auch das nämliche kleine Männlein fand, und von ihm in Arbeit genommen wurde. Das Waldhaus war aber jetzt eine Mühle. Als der junge Mühlknappe eine zeitlang brav, treu und fleißig in Arbeit gestanden hatte, schenkte ihm sein Meister zum Andenken einen schönen Müllerlöwen und sprach: „Nimm zum Abschied noch eine kleine Gabe, die Dir, obgleich ich Dir deine Arbeiten nicht mit Geld belohnen kann, doch mehr nützen wird, als Gold und Silber. So oft Du zu diesem Eselchen sprechen wirst: “ Eselein, strecke dich!‘ so oft wird es Dir Dukaten niesen.“

Aber auch der Müllergeselle kam mit seinem Esel in die Herberge des betrügerischen und schlauen Wirtes, ließ auftafeln, und als der Wirth die Zeche forderte, sprach er: „Harret ein wenig, ich will nur erst Geld holen.“ Nahm das Tischtuch mit, ging in den Stall, breitete es über das Stroh, darauf der Esel stand, und sprach: „Eselein, strecke dich!“ Da streckte sich der Esel und nieste und es klingelten Dukaten auf dem Tuche, draußen aber stand der Wirt, sah durch ein Astloch in der Türe und merkte sich die Sache. Am anderen Morgen stand zwar ein Esel da, aber nicht der rechte, und der Dicke, keinen Betrug ahnend, setzte sich heiter auf und ritt fort. Als er zu seinem Vater kam, verkündete er ihm auch sein Glück und zum Esel sich wendend: „Eselein, strecke dich!“ Das fremde Eselein streckte sich zwar auch, aber was Selbiges fallen ließ, das waren keine Goldstücke. Der Dicke wurde von Allen fürchterlich ausgelacht und musste fortan wieder arbeiten, und im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen.

Es war nun wieder ein Jahr verflossen, und auch der Dumme hatte seine Lehrzeit überstanden und zog als ein wackrer Drechsler in die Fremde. Recht mit Fleiß nahm er denselben Lauf wie seine Brüder, und wünschte sehr, bei jenem kleinen Männlein auch in Arbeit zu kommen. Richtig gelangte auch der Drechslergeselle in den gewissen Wald, fand die einsame Wohnung des Männleins, und auch ihn nahm es als einen fleißigen Burschen gerne in Arbeit.

Nach etlichen Monaten hieß es jedoch wieder Abschiednehmen und das Männlein sprach: „Nimm dieses schlichte Säcklein; es kann Dir sehr nützlich werden. So oft Du zu ihm sagen wirst: „Knüppel aus dem Sack!,“so oft wird ein darin steckender wohlgedrehter Prügel herausfahren zu Deinem Schutz, Deiner Wehr und Hilfe, und dieser wird so lange aufprügeln, bis Du gebietet wirst: Knüppel in den Sack!“

Der Drechsler bedankte sich schön und zog mit seinem Säcklein heimwärts. So kam er denn endlich bis an jene Herberge, wo der arge Wirt seine Brüder um das ihre betrogen hatte, und jetzt herrlich und in Freuden lebte, aber dennoch immer noch ein Gelüst hatte, sich vom Gut der Reisenden etwas anzueignen. Beim Schlafengehen gab der Drechsler dem Wirt den Sack in Verwahrung, und warnte ihn, er möge ja nicht zu diesem Säcklein sagen: „Knüppel aus dem Sack!“, denn damit habe es eine besondere Bewandtnis, und könne einer, wenn er das sage, wohl etwas davontragen. Jedoch der Wirt konnte kaum die Zeit erwarten, bis der Gast sich zur Ruhe gelegt hatte, um zu sprechen: „Knüppel aus dem Sack, Knüppel aus dem Sack!“ Und im Nu fuhr der Knüppel heraus, und wirbelte wie ein Trommelschlägel auf des Wirtes Rücken und prügelte den Wirt dermaßen braun und blau, dass dieser ein jämmerliches Geschrei erhob, und heulend den Drechslergesellen munter rief. Dieser sagte: „Wirt, das geschieht Dir recht! Ich warnte Dich ja. Du hast meinen Brüdern das Tischlein decke dich, und das Eselein strecke dich gestohlen.“ Der Wirt kreischte: „Ach helft mir nur um Gottes Willen! Ich werde umgebracht!“

Jetzt gebot der Geselle: „Knüppel in den Sack!“ und da kroch das Prügelein im Nu wieder in den Sack. Und der Wirt war nur froh, dass er sein Leben davon gebracht, und gab willig das Tischlein und Eselein wieder heraus. Da packte der Drechsler seinen Kram zusammen, lud seine Bündel, und sich selbst auf den Esel und trabte dem Heimatstädtlein zu. Da war keine geringe Freude bei den Brüdern, als sie die überaus wertvollen Geschenke und Andenken wieder gewonnen sahen durch den, den sie immer den Dummen gescholten hatten, und der doch klüger war als sie. Und die Brüder blieben zusammen bei den Eltern, und brauchten nichts mehr zu arbeiten, denn sie hatten von allem in Hülle und Fülle.